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Sechs-Punkte-Plan für mehr Verantwortung und Augenhöhe für die Gesundheitsfachberufe
Im Juni 2023 veröffentlichte das Institut für Gesundheitssystemforschung der Barmer den 16. Band "Gesundheitswesen aktuell". Darin greift das Institut jeweils besondere Herausforderungen im Gesundheitswesen auf. In dieser Ausgabe geht es unter anderem um mehr Verantwortung und Augenhöhe für die Gesundheitsberufe. PHYSIO-DEUTSCHLAND hat das Papier analysiert und fasst es hier für alle Interessierten zusammen.
Aufgrund des bereits bestehenden Fachkräfte-/Personalmangels und des steigenden Leistungsbedarfs zur Sicherstellung der Gesundheitsversorgung in Deutschland haben die Autoren Nikolaus Schmitt, Andrea Pfingsten, Dagmar Hertle und Katharina Bopp einen Sechs-Punkte-Plan entwickelt, um diesem Missstand entgegenzuwirken. Um das Gesundheitssystem zukunftsfähig aufzustellen und die Versorgung sicherzustellen, muss heute und in Zukunft insbesondere der Personalbedarf gedeckt werden. Dafür braucht es Maßnahmen zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen und zur Weiterentwicklung einer interprofessionellen Zusammenarbeit der Gesundheitsberufe auf Augenhöhe.
Im Kapitel „Die Ärzt:innen müssen es nicht alleine richten – ein Sechs-Punkte-Plan für mehr Verantwortung und Augenhöhe für die Gesundheitsfachberufe“ in der Publikation "Gesundheitswesen aktuell“ des Barmer Instituts für Gesundheitssystemforschung (bifg) beschreiben die Autoren sowohl Gründe für die aktuelle Situation als auch konkrete Vorschläge zur Verbesserung der Rahmenbedingungen.
Hier die Sechs-Punkte im Einzelnen:
Sozialgesetzbuch SGB V – streichen des universellen ärztlichen Delegationsvorbehalts
Nach § 15 Abs. 1 SGB V werden ärztliche oder zahnärztliche Behandlungen nur von Ärzten oder Zahnärzten erbracht. Sind Hilfeleistungen anderer Personen erforderlich, dürfen sie nur erbracht werden, wenn sie vom Arzt (Zahnarzt) angeordnet und von ihm verantwortet werden.
Die Autoren fordern die Abschaffung dieser Generalklausel mit der Begründung, dass die durch das Gesetz zum Ausdruck gebrachte grundsätzlich unteilbare ärztliche Gesamtverordnung nicht den faktischen Gegebenheiten im Gesundheitswesen entspreche.
Ein erster Schritt in diese Richtung hat der Gesetzgeber durch die Verankerung der Blankoverordnung in § 125 a SGB V in die Wege geleitet.
Berufsbilder durch Berufsgesetze durchgehend etablieren bzw. erneuern
Dass die Berufsgesetze der therapeutischen Berufe der Novellierung bedürfen, ist bekannt und längst überfällig. Im Rahmen dessen sollten nach Meinung der Autoren neben der Regelung der Führung der Berufsbezeichnung und der Ausbildungsinhalte auch nähere Bestimmungen zur Verwaltung der Berufsausübenden , wie beispielsweise das Führen eines öffentlichen Verzeichnisses, die Vergabe einer lebenslangen Gesundheitsberufenummer, die Registrierung von Qualifikationen etc. vorgesehen werden. Der Vorschlag der Autoren ist grundsätzlich zu begrüßen. PHYSIO-DEUTSHCLAND hält allerdings eine Vermischung von Regelungen eines Berufsausbildungsgesetzes mit denen eines Berufsausübungsgesetzes für keinen gangbaren Weg. Der Gesetzgeber sollte vielmehr ein Berufsausübungsgesetz im Sinne von Art. 12 Abs. 1 Satz 2 Grundgesetz schaffen, in dem dann neben den oben genannten Voraussetzungen auch ein Tätigkeitsschutz für die jeweiligen Gesundheitsberufe geregelt wird. So werden jeder Gesundheitsberufsgruppe die Tätigkeiten zugewiesen, die sie in der Ausbildung gelernt haben. Ein „Wildern“ der verschiedenen Gesundheitsberufe in fachfremden Bereichen wäre damit nicht (mehr) möglich.
Akademisierung der Gesundheitsfachberufe und der Entwicklung bundesweiter Fachregeln für die Berufsausübung
Wie die Autoren richtig feststellen, ist Deutschland im europäischen Vergleich Schlusslicht im Akademisierungsprozess. Evidenzbasierung und die Förderung interdisziplinarer Kooperation sind wichtige Ziele hochschulischer Ausbildung. Auch das Bündnis Therapieberufe an die Hochschulen fordert in seiner aktuellen politischen Kampagne die Politik auf, die richtigen Weichen für die Akademisierung zu stellen. Die Gründe hierfür sind plausibel und vielfältig, daher hier nur einige Beispiele zusammengefasst:
Verbesserung der Berufsausübung und damit Sicherstellung einer evidenzbasierten und qualitätsorientierten Patientenversorgung
Attraktivitätssteigerung des Berufs und damit längerfristiger Verbleib im Beruf
Weiterentwicklung des Berufsbildes mittels Forschung, Studien und Evaluationen
Mehr Informationen zu den Gründen und dem Bündnis Therapieberufe an die Hochschulen finden Interessierte hier: https://buendnis-therapieberufe.de/alles-nur-fassade/
Im Rahmen der Forderung der Akademisierung fordern die Autoren systematische und einheitliche Vorgaben für die Ausübung der Gesundheitsfachberufe, um zum Beispiel einheitliche Regelungen für die richtige Auswahl und Anwendung physiotherapeutischer Maßnahmen zu schaffen.
Wir begrüßen diesen Ansatz und sehen dafür ein unter Ziffer 2 bereits erwähnte Berufsausübungsgesetz für geeignet an. Als Alternative käme hierfür auch – in Analogie zur Ärztekammer - die Einrichtung einer Therapeutenkammer, in der neben ethischen auch Ausübungsregelungen verbindlich festgelegt und überprüft werden. Der Gesetzgeber ist in jedem Fall aufzufordern, entsprechende Regelungen hierfür verbindlich festzulegen.
Beteiligung der Gesundheitsfachberufe an den Entscheidungen im Gesundheitssystem - Entscheidungswege im G-BA verändern, Vertretung der Berufe klären
Die Autoren fordern eine Anpassung der gesetzlichen Regelungen dahingehend, die Berufsorganisationen verstärkt in die Arbeit des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) einzubinden und ihnen Stimmrecht im G-BA einzuräumen. Der Spitzenverband der Heilmittelverbände (SHV) hat in Bezug auf den Koalitionsvertrag diese Forderung untermauert und strebt im Referentenentwurf zum Gesundheitsversorgungsstärkungsgesetz (GVSG) eine Anpassung an: Dem SHV soll als maßgebliche Spitzenorganisation der Heilmittelerbringer analog den Pflegeberufen ein Antrags- und Mitberatungsrecht in den den Heilmittelerbringern relevanten Aufgabenbereichen des G-BA eingeräumt werden.
Intersektorale und interprofessionelle Kommunikation im Gesundheitssystem systematisch ausgestalten
PHYSIO-DEUTSCHLAND stimmt den Autoren zu, dass die verbesserte Zusammenarbeit der Gesundheitsfachberufe eine fachlich koordinierende Kommunikation untereinander und eine nachvollziehbar erklärende Kommunikation mit Patientinnen und Patienten voraussetzt. Daher muss die digitalisierte Kommunikation weiter vorangetrieben und alle Gesundheitsfachberufe frühzeitig in die weitere Entwicklung eingebunden werden.
Leistungsinhalte und -verträge der Gesetzlichen Krankenversicherung anpassen
Die bestehenden Verträge mit den Krankenkassen sind auf das neue Zusammenwirken der Gesundheitsberufe anzupassen. Die maßgeblichen Physiotherapieverbände stehen hierzu seit längerer Zeit mit dem GKV-Spitzenverband zu den verschiedenen Vertragsbestandteilen in Vertragsverhandlungen.
Fazit und Ausblick
PHYSIO-DEUTSCHLAND stimmt mit den Ausführungen der Autoren in vielen Punkten überein, sehen allerdings die Akademisierung der Gesundheitsberufe als vordringlich an. Denn: Die Grundlage des therapeutischen Handelns und der qualitätsgesicherten Patientenversorgung ist die Ausbildung. Nur wenn diese den erforderlichen Qualitätskriterien entspricht, können die weiteren Maßnahmen zum Erfolg führen. PHYSIO-DEUTSCHLAND dankt dem Autorenteam ausdrücklich und hofft, dass ihre Ausführungen den politischen Diskurs der Entscheider positiv beeinflussen wird.
Den kompletten Artikel „Die Ärzt:innen müssen es nicht alleine richten – ein Sechs-Punkte-Plan für mehr Verantwortung und Augenhöhe für die Gesundheitsfachberufe“ in der Publikation „Gesundheitswesen aktuell“ des Barmer Instituts für Gesundheitssystemforschung finden Interessierte hier – einfach hier klicken und Herunterladen.
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