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Referentenentwurf Berufsgesetz: PHYSIO-DEUTSCHLAND positioniert sich
Seit einigen Wochen kursiert der Vorabentwurf eines Referentenentwurfs für ein neues Berufsgesetz in der Physiotherapie. Die Analyse und die politische Arbeit dazu laufen auf Hochtouren. Hier ein Zwischenbericht.
Bereits am 11. März 2024 hat das Bündnis Therapieberufe an die Hochschulen im Rahmen eines eintägigen Workshops in Hildesheim den zur Frühkoordinierung der Regierungskoalition ausgearbeiteten aktuellen Referentenentwurf zur Reform der Berufe in der Physiotherapie diskutiert.
Es wurden Licht und Schatten anhand unterschiedlicher Aspekte hervorgehoben. Klar ist, dass der derzeit im politischen Berlin kursierende erste Entwurf eines Gesetzes zur Reform der Berufe in der Physiotherapie (Physiotherapieberufereformgesetz – PhyThBRefG) nur vorläufiger Natur ist und nicht mit dem Ziel einer Verbände-Kommentierung im Umlauf gebracht wurde. Dennoch werden in dem Entwurf Weichenstellungen erkennbar. Diese zu kommentieren, um gerade in dieser frühen Phase des Gesetzgebungsprozesses etwas zur konstruktiven Weiterentwicklung des Entwurfs beitragen zu können, war das Ziel des Workshops und bleibt weiter das Ziel der politischen Arbeit von PHYSIO-DEUTSCHLAND und dem Bündnis Therapieberufe an die Hochschulen. In einem Schreiben an Bundesgesundheitsminister Prof. Dr. Karl Lauterbach und die Mitwirkenden im zuständigen Referat des Ministeriums hat das Bündnis folgende Punkte herausgearbeitet:
Studienziele
Die Beschreibung der Studienziele und damit der mit dem Studium zu erwerbenden Kompetenzen entsprechen im Grundsatz den Erwartungen, die sich aus dem Niveau 6 des Deutschen Qualifikationsrahmens bzw. dem Niveau 1 des Qualifikationsrahmens für Deutsche Hochschulabschlüsse (HQR) ergeben. Insbesondere die Zuschreibung der Kompetenzen für die eigenverantwortliche Steuerung, Planung und Gestaltung der Therapie inklusive physiotherapeutischer Diagnostik ist zu begrüßen. Damit sind die wesentlichen Kompetenzen beschrieben, die die Voraussetzungen für einen Direktzugang nach Abschluss des Studiums bilden und die Entwicklung weiterführender Master-Studiengänge ermöglichen.
Teil- und Vollakademisierung
Die Zweiteilung des therapeutischen Prozesses wie auch der Berufsgruppe der Physiotherapeut*innen ist jedoch hochproblematisch, sofern sie nicht als Übergangszeitraum, sondern als Dauerzustand angelegt ist. Dazu finden sich jedoch in dem Gesetzentwurf keine expliziten Angaben. Dies halten wir für ein grundfalsches Signal, insbesondere da sich die Begründung der Teilakademisierung explizit auf die Empfehlungen des Wissenschaftsrates von 2023 zur Weiterentwicklung der Gesundheitsfachberufe stützt. Der Wissenschaftsrat macht an mehreren Stellen in dem Gutachten deutlich, dass die Empfehlungen einer Akademisierung von 10 bis 20 Prozent als Zwischenziel anzusehen sind. So heißt es z.B. auf S. 68 der Empfehlungen:
„Der Wissenschaftsrat hält es für einen gangbaren Weg, zunächst mehrere Ausbildungswege (hochschulisch und berufsfachschulisch) offen zu halten, auch wenn sich daraus möglicherweise andere Probleme ergeben (Konkurrenz der Ausbildungssysteme, Unterhaltung von Doppelstrukturen). Er empfiehlt jedoch, die internationale Entwicklung und Anschlussfähigkeit im Blick zu behalten und in zehn Jahren auf Basis der erreichten Akademisierungsquoten und des erzielten Aufbaus der wissenschaftlichen Disziplinen differenziert zu prüfen, welche weiteren Entwicklungen erforderlich sind.“
Wenn der hochschulische und der berufsfachschulische Ausbildungsweg nur zunächst offengehalten werden sollen, so bedeutet dies, dass einer der beiden mittel- oder langfristig aufgegeben werden soll. Da ganz sicher jetzt nicht Studiengänge aufgebaut werden sollen, um sie anschließend wieder aufzugeben, ist klar, dass nach einer Übergangszeit der berufsfachschulische Weg nicht mehr fortgeführt werden soll. Auch der Hinweis auf die internationale Anschlussfähigkeit und Entwicklung kann nur so verstanden werden, da auf europäischer Ebene und nahezu weltweit eine hochschulische Ausbildung in der Physiotherapie längst Standard ist.
Um den Akteur*innen und Stakeholdern (Berufsinteressierte, Studierende, Auszubildende, Lehrende an Schulen und Hochschulen sowie die Bildungs- und Versorgungseinrichtungen) zu ermöglichen, ihre individuellen berufsbiographischen und organisatorisch-strategischen Ziele an einer planbaren Zukunft auszurichten, sollte diese Perspektive auch in dem Gesetzentwurf festgeschrieben werden. Letztlich ist die Vollakademisierung aus einer Vielzahl von Gründen ein Sachzwang. Zu nennen ist hier insbesondere die höhere Therapie-Effizienz. Gerade die höheren Kompetenzen gepaart mit einer höheren Autonomie und Entscheidungsfreiheit in der Therapie wirken dem aktuellen Therapeut*innenmangel entgegen. Allerdings müssen hierzu auch entsprechende Bedingungen und attraktive Karrierepfade im Versorgungssystem geschaffen werden. Nicht die Quantität der Therapeut*innen, sondern die Qualität der Therapie ist für zukünftige Versorgungssicherheit entscheidend. Gerade junge Menschen vor der Berufswahl könnten ohne Einsicht in diese Sachzusammenhänge leicht Entscheidungen treffen, die ihren eigentlichen Zielen nicht gerecht werden.
Finanzierung der berufspraktischen Ausbildung
Die Kosten der berufspraktischen Ausbildung müssen für beide Formen des Berufszugangs gleichermaßen refinanziert werden. Dies betrifft insbesondere die Praxisanleitung, aber auch sonstige Kosten. Für die hochschulische Ausbildung werden im Gesetzentwurf dazu keine Aussagen getroffen. Es muss aber sichergestellt werden, dass die Hochschulen den Berufsfachschulen bei der Refinanzierung der Kosten der berufspraktischen Ausbildung gleichgestellt sind.
Aufgaben der Physiotherapie
Unverständlich ist die Begrenzung der Physiotherapie auf bestimmte Körperstrukturen (bewegungsbezogene und funktionale Beeinträchtigungen des Muskel-Skelett-Systems und des Bindegewebes) und die explizite Nennung von Behandlungstechniken. Dies wird auch der bisherigen Praxis der Physiotherapie nicht gerecht. Sinnvoller erscheint es, auf solche Einschränkungen der Therapie zu verzichten. Stattdessen empfiehlt sich die Nennung der Handlungsfelder Gesundheitsförderung, Prävention, Kuration, Rehabilitation und Palliation in den Studienzielen.
Der Workshop endete mit einem Aufruf: Das Bündnis Therapieberufe an die Hochschulen ruft den Gesetzgeber auf, an geeigneter Stelle im Gesetzentwurf die Perspektive einer zukünftigen Vollakademisierung deutlich zu machen und die Durchführung von Begleitforschung zu den Auswirkungen des Gesetzes und einer Evaluation des Akademisierungsprozesses in zehn Jahren festzulegen. Auch der Wissenschaftsrat hält diesen Zeitpunkt für eine Neubefassung mit dem Thema für adäquat.
Die komplette Meldung und weitere Informationen zum Bündnis Therapieberufe an die Hochschulen gibt es unter www.buendnis-therapieberufe.de.
PHYSIO-DEUTSCHLAND bundesweit aktiv
"Als mitgliederstärkster Physiotherapieverband in Deutschland liegt uns die Reform unseres Berufes besonders am Herzen. Wir erfahren hier auch sehr viel Rückenwind von unseren internationalen Partnerorganisationen im Weltverband“, erklärt Andrea Rädlein.
Aus Sicht von PHYSIO-DEUTSCHLAND stellt der aktuelle Entwurf einen Rückschritt zur IST-Situation dar. Das neue Gesetz sollte den Bundesländern unbedingt eine Perspektive aufzeigen, insbesondere vor dem Hintergrund, dass sich die Patientenversorgung in den nächsten Jahren derart ändern wird, dass langfristig die Kompetenzerweiterung der Physiotherapeut*innen auf hochschulischem Niveau für eine qualitätsgerechte Patientenversorgung unerlässlich ist. Die Weichen dafür müssen heute gestellt werden, in dem eine Transformationszeit hin zu einer rein hochschulischen Ausbildung im Gesetz festgeschrieben wird – zur besseren Planbarkeit für die Finanzierung in den Bundesländern und für eine perspektivische Entwicklung der Patientenversorgung von morgen.
Für PHYSIO-DEUTSCHLAND steht fest: Es geht um die Ausbildung von morgen und die perspektivische Entwicklung der therapeutischen Versorgung. "Unsere Kolleginnen und Kollegen leisten in der aktuellen Versorgungssituation unserer Patient*innen Unfassbares – der Bedarf an Therapie steigt, die Komplexität der Versorgung verändert sich“, betont Andrea Rädlein, Vorsitzende von PHYSIO-DEUTSCHLAND. „Gerade deswegen ist es unsere Pflicht als Berufsverband, sich für die Berufsangehörigen von heute in Bezug auf die Rahmenbedingungen und um die angehenden Kolleginnen und Kollegen von morgen in Bezug auf die erforderlichen Anpassungen zum Berufsstart einzusetzen“, untermauert Andrea Rädlein das berufspolitische Engagement von PHYSIO-DEUTSCHLAND beim Bund und in den Bundesländern.