Login Mitglieder
A- A A+ Startseite Patienten‌ & Interessierte Fachkreise

Teil 3 - Interview Serie mit Susanne Böggering

Name:                            Susanne Böggering
Alter:                              43
Wohnort:                        Budenheim bei Mainz
Ausbildung:                    Physiotherapieschule
                                       am Brüderkrankenhaus Trier (BKT)
Berufserfahrung:            21 Jahre
Fortbildungen:                Atemtherapie mit Schwerpunkt Mukoviszidose,
                                       Sportphysiotherapie,MT, CMD, Lymphdrainage
Praxis oder Klinik:          Praxis
                                                                                                          

Wie bist Du zur Physiotherapie und später im speziellen zur Atemtherapie gekommen?

Als Jugendliche habe ich Basketball gespielt und hatte dadurch häufig Probleme mit dem Knie. Durch Physiotherapie konnte mir damals schnell und dauerhaft geholfen werden. Ich fand es großartig, dass die Kollegin mir helfen konnte beschwerdefrei zu werden. Da dachte ich mir: Das will ich auch können!
Zur Atemtherapie bin ich erst nach ein paar Jahren im Beruf gekommen. Nachdem ich einige Jahre lang Patient*innen mit unterschiedlichsten Krankheitsbildern behandelt habe, kam ich mehr mit der Atemtherapie in Berührung. Zunächst als Urlaubsvertretung, was mir großen Spaß gemacht hat. Dann habe ich eine Fortbildung in diesem Bereich gemacht und im Anschluss relativ schnell meinen Schwerpunkt dahin verlagert.

Was findest Du besonders spannend an der Atemtherapie?

Was mir besonders gut gefällt, ist die schnelle Sichtbarkeit von Erfolgen bei meinen Patient*innen, einerseits durch die Behandlung, aber auch durch deren Mitarbeit. Beim ersten Termin berichten mir die meisten Patient*innen von ihrer Atemnot, sie schaffen es z.B. nur bis in den zweiten Stock und müssen aufgrund der Atemnot dann eine längere Pause machen, bevor sie weitergehen können. Häufig berichten sie schon in der zweiten Behandlung, dass sie es bereits in den dritten Stock mit weniger Atemnot schaffen. Die Spanne an Krankheitsbildern ist sehr vielfältig, ich behandle neben den Mukoviszidose Patient*innen auch welche mit COPD, Asthma, Long Covid, Lungenfibrose, Lungenemphysem u. ä.  Erkrankungen. Aufgrund der häufig schnellen Verbesserung ist es für mich als Therapeutin eine sehr befriedigende Arbeit.

Wie wichtig ist für Dich interprofessionelle Zusammenarbeit, z.B. mit Ärzten. Hast Du Dir da ein gutes Netzwerk aufbauen können?

Ich hatte das Glück eine Kollegin kennen zu lernen, die über 30 Jahre Berufserfahrung in diesem Bereich besitzt. Über sie bin ich in ein Netzwerk im Raum Mainz gekommen. Wir haben regelmäßige Arbeitskreise, in denen wir uns austauschen. Ab und an bekommen wir hier Besuch von Firmen, die z. B. neue Geräte für die Therapie vorstellen.

Zudem haben wir halbjährlich einen Termin in der Muko Ambulanz, an dem außer den Therapeut*innen auch die Fachärzt*innen und das Pflegepersonal teilnehmen. Jede*r aus dem interdisziplinären Team hat hier die Möglichkeit, Fälle anzusprechen. Das klappt in der Zusammenarbeit mit der Mukoambulanz sehr gut und das finde ich superwichtig.

Wie sieht ein typischer Arbeitsalltag bei Dir aus?

Ich mache Hausbesuche und arbeite in der Praxis. Die Treffen innerhalb des Netzwerks finden außerhalb meiner Arbeitszeit statt.
Wenn ich bei meinen Mukoviszidose Patient*innen bin, habe ich eine ganze Stunde Zeit. Das ist wirklich ein entspanntes Arbeiten. Ich arbeite befundorientiert, wie eigentlich bei allen anderen Patient*innen auch. Gerade bei der Behandlung von jungen Patient*innen habe ich zunächst Gesprächsbedarf mit den Eltern, damit die Therapie optimal durchgeführt werden kann. Neben meinen Mukoviszidose- und COPD- Patient*innen habe ich aber auch noch einige orthopädische Patient*innen hier im Ort.

Was war Dein bisher schönster und Dein am wenigsten schöner Moment in Deinem Berufsleben?

Vor allem mit den Patientenkindern gibt es häufig schöne Momente. Die Arbeit ist altersangepasst, spielerisch und macht den Kindern und auch mir meist Spaß.
Schwierige Momente sind natürlich Situationen, in denen man erfährt, dass ein Patient bzw. eine Patientin verstorben ist. Auch wenn ich merke, dass sich der Allgemeinzustand immer mehr verschlechtert.
In der Mukoviszidose hatte ich glücklicherweise bislang noch keine Patient*innen, die wegen der Erkrankung verstorben sind. Hoffnung gibt mit Mukoviszidose auch ein neues Medikament (ein CFTR-Modulator), das am Ursprung der Erkrankung ansetzt. Die Lungenfunktionswerte der Patient*innen haben sich zum großen Teil verbessert und sie haben nahezu die Lebensqualität von Gesunden.

Wenn Du die Zeit zurückdrehen könntest, würdest Du alles nochmal genauso machen in Deinem beruflichen Werdegang, oder würdest Du etwas ändern?

Ich würde mich vermutlich direkt auf die Atemtherapie spezialisieren bzw. meinen Schwerpunkt dort setzen, weil mir das einfach so viel Spaß macht.

Hand aufs Herz! Hast Du Fortbildungen gemacht, nur weil Deine Arbeitgeber*innen es so wollten oder weil Du Dir dadurch ein besseres Gehalt dadurch erhofft hast?

Ja, ich habe tatsächlich eine Fortbildung (Manuelle Therapie) absolviert, die mich zu der Zeit allerdings nicht so wirklich interessiert hat. Im Rückblick war diese Fortbildung aber trotzdem sinnvoll, da ich meine Kenntnisse heute sowohl bei meinen orthopädisch-chirurgischen als auch der atemtherapeutische Patient*innen einsetze.

Wo siehst Du Dich in den nächsten Jahren?

Ich möchte meine Arbeit am liebsten so weitermachen. Wenn ich mir die Verordnungen anschaue, ist der Bedarf breit gefächert. Ich möchte aber die Mukoviszidose für mich persönlich noch weiter in den Fokus rücken.

Wo siehst Du die Physiotherapie in den nächsten Jahren und wo würdest Du sie gerne sehen?

Ich würde mir wünschen, dass wir als Therapeut*innen mehr Freiheiten und Eigenverantwortung bekommen. Das wir in der Regelversorgung über Art und Umfang der Therapie entscheiden können, wie es jetzt mit der Blankoverordnung kommen soll.
 

Was muss sich ändern, um die Zukunft der Physiotherapie zu verbessern und dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken? PHYSIO-DEUTSCHLAND sieht ja hier die Akademisierung als wichtigen Schritt an. Wie stehst Du dazu?

Ganz klar muss sich am Gehalt noch etwas ändern, um den Job attraktiver zu machen und den Nachwuchs anzusprechen.  Für mich ist es zwar nicht relevant, aber als Alleinverdiener*in ist es mit einem Physiogehalt sicherlich immer noch schwieriger eine Familie zu ernähren.

In meiner Ausbildungszeit war ich sehr gut aufgestellt; es gab ein gutes Maß an praktischem und theoretischem Unterricht sowie die praktische Arbeit.

Anschließend kann man direkt im Job starten und Berufserfahrung sammeln. Inwieweit hier noch ein Studium reinpasst, kann ich allgemein gar nicht beantworten. Deutschland ist allerdings das letzte Land in Europa ohne akademische Ausbildung.

Mehr Eigenverantwortung mit dem Direktzugang und einen guten interdisziplinären Arbeiten kann ich mir in meinem Bereich sehr gut vorstellen.


Ich weiß ja, dass Du Mitglied bei PHYSIO-DEUTSCHLAND bist. Was gefällt Dir an der berufspolitischen Vertretung durch die Verbände und was nicht? Was würdest Du Dir wünschen?

Ich finde es gut, dass die Verbände in den letzten Jahren gerade im Bereich der Vergütung durch die Krankenkassen deutliche Fortschritte gemacht haben. Das hat sich auch für uns Angestellte durch Gehaltserhöhungen bemerkbar gemacht.
Desweitern finde ich den Weg in Richtung Blankoverordnung/Direktzugang sehr gut. Man merkt, dass der Verband auch hier eine treibende Kraft ist.

Liebe Susanne, danke, dass Du Dir die Zeit für dieses Interview genommen hast und so offen meine Fragen beantwortet hast.
 

 

Interview geführt von Michaela Yüksel.